Ausgabe 28, März 2001
PHÄNOMENTA - ein Museum? Nein! Ein Museum mit Exponaten zum Anfassen? Nein, eigentlich kein Museum! Experimente zum selber machen? Nein, keine Experimente mit Messreihen und Protokollen! Eine Ausstellung interaktiver Exponate? Vielleicht die beste Beschreibung. Aber was bedeutet dann interaktiv?
Eingangsbereich der Phänomenta in Flensburg: Moderne Architektur verbindet die Gebäude eines sanierten Kaufmannshofes.
Die Geschichte der Phänomenta begann vor etwa 15 Jahren. In den USA entstanden erste „Science-Zentren“, in denen man beobachten konnte, wie sich Menschen jeden Alters mit viel Freude physikalischen Fragestellungen zuwandten. An der Universität Flensburg griff Prof. Dr. Lutz Fiesser diese Entwicklungen auf und versuchte, den hinter diesen Ausstellungen stehenden pädagogischen Ansatz zu präzisieren. Dabei entstanden nahezu einhundert Exponate, die in den Fluren und im Aussenbereich der Universität aufgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich waren. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die Ausstellung PHÄNOMENTA, die seit 1995 in Flensburg in einem eigenen Gebäude unmittelbar am Flensburger Wahrzeichen - dem Nordertor - untergebracht ist. Auf 1500 Quadratmetern finden sich etwa 150 interaktive Exponate, eine kleine Cafeteria und ein kleiner Shop. In der Werkzone werden ständig vorhandene Exponate überarbeitet und neue entwickelt. Der Ansatz wurde in anderen Städten aufgegriffen, und so gibt es heute (Anfang 2001) eine Phänomenta in Lüdenscheid, in Bremerhaven, in Peenemünde und in Templin. In der Flensburger Ausstellung konnten im Jahr 2000 mehr als 65.000 Besucherinnen und Besucher begrüßt werden.
Fernsehfahrrad: Ein kleiner Generator versorgt das Fernsehgerät mit elektrischer Energie.
Der pädagogische Ansatz setzt auf die natürliche Neugier und gibt ihr Raum. Beim Schlendern durch die Ausstellung kommen Besucherrinnen und Besucher mit einer Vielzahl von Phänomenen in Berührung. Es gilt herauszufinden, auf welcher Bahn eine Kugel in möglichst kurzer Zeit ein Ziel erreicht (ist der kürzeste Weg der schnellste?), wie das Spiegelbild eines Spiegelbildes aussieht, wie ein Bild auf den Speichen eines Fahrrades sichtbar wird oder zu erfahren, wie viel Energie erforderlich ist, um ein kleines Fernsehgerät zu betreiben. All dies funktioniert ohne aufwendige Messgeräte; Kräfte, Zeiten, Strecken usw. sind unmittelbar wahrnehmbar. Ein kurzer Text am Exponat, meist als Frage formuliert, gibt Hinweise darauf, welche Handlungsmöglichkeiten sich an dieser Stelle eröffnen.
Rollbahn: Rollt die Kugel bis zum Ende obwohl es „bergauf“ geht?
Die genannten Beispiele zeigen, dass das Wort „interaktiv“ als Adjektiv für die in der Ausstellung aufgebauten Exponate in einem sehr unmittelbaren Sinn verstanden wird. Nicht der Zugriff auf eine Datenbank, auf einen bestimmten Algorithmus in einem Computerprogramm ist gemeint, sondern die unmittelbare Auseinandersetzung mit einer Frage, die durch Auseinandersetzung mit einem gegebenen und durchschaubaren „wirklichen“ Aufbau beantwortet werden kann. In einer Zeit, in der Realität und Virtualität zu verschwimmen scheint, ein - wie wir meinen - äußerst wichtiger pädagogischer Gegenpol.
Das große Kaleidoskop: Verspiegelter Blick auf das Wahrzeichen Flensburgs
Natürlich kann ein Besuch der Phänomenta den Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern nicht ersetzen. Fachbegriffe werden nicht vermittelt, formale Zusammenhänge können nicht aufgezeigt werden. Drei ineinander verwobene Zielebenen sind es, die für die Entwicklung von Exponaten und für die Gestaltung der Ausstellung die Leitlinien bestimmen.
Es macht Spaß, sich in der Ausstellung umzusehen, Dinge anzustoßen, sich mit Anderen über die beobachteten und erfahrenen Phänomene auszutauschen. Diese emotionale Zielrichtung erwartet eine Einstellungsänderung gegenüber naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen: sie sind nicht nur komplex und undurchschaubar - im Gegenteil: hier in der Phänomenta sind sie sehr konkret, zum Teil schön anzusehen oder anzuhören und es kann auch Freude bereiten, sich mit ihnen auseinander zusetzen.
Der zentrale pädagogische Prozess wird durch Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen offengelegt. Sie zeigen, dass es oft ein einzelnes Exponat ist, dass ein Kind, einen Jugendlichen oder einen Erwachsenen ganz besonders staunen lässt: Der beobachtete Effekt wurde nicht erwartet, Vorwissen und Beobachtung führen zu einem Konflikt, dessen Auflösung durch eigenes Handeln an dem offenen und durchschaubar gestalteten Aufbau gefunden werden kann. Parameter lassen sich in weiten Grenzen verändern. Es werden dann Verweilzeiten von 30 Minuten und mehr an einzelnen Exponaten festgestellt. Beobachtungen zeigen weiter, dass die Lösung dann gern Bekannten und Freunden gezeigt oder mit anderen Menschen diskutiert wird. In Anlehnung an die Begrifflichkeiten, die durch den Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget geprägt wurden, wird der beschriebene individuelle Lernprozess als „Akkomodation“ bezeichnet.
Erfolgserlebnisse, eigenes Lernen im Umgang mit naturwissenschaftlich-technischen Phänomenen können zumindest tendenziell das Selbstvertrauen bei Fragestellungen aus diesem Bereich positiv beeinflussen und Impulse für die weitere Beschäftigung mit solchen Themen im Alltag, im Unterricht oder durch Nutzung verschiedenster Medien geben.
PHÄNOMENTA versteht sich nicht als Endpunkt einer Entwicklung. Immer wieder gibt es Ideen für neue Exponate, für neue Aktionen, immer wieder gibt es Anregungen für eine Überarbeitung oder und Weiterentwicklung einzelner Exponate. Weitere Impulse kommen aus der engen Zusammenarbeit mit der Universität Flensburg durch Arbeiten von Lehramtsstudenten, für die Phänomenta ein ideales Forschungs- und Praxisfeld ist.
Vorträge, Tagungen, Sonderausstellungen, Wettbewerbe und Aktionen zu unterschiedlichen, häufig fachübergreifenden Themen machen PHÄNOMENTA zu einem Forum für naturwissenschaftliche Bildung.
Dort finden Sie die
PHÄNOMENTA:
Norderstr. 159-161
24939 Flensburg
www.phaenomenta.com
science@phaenomenta.com
Gustav-Adolf-Str. 9-11
58473 Lüdenscheid
Karlsburg 9
27568 Bremerhaven
Museumsstr. 12
17449 Peenemünde
Altes Rathaus/Marktplatz
17268 Templin
Der Autor ist Vorsitzender des Trägervereins PHÄNOMENTA e.V. und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physik und ihre Didaktik der Universität Flensburg.
Die Fotos wurden von S. Thießen aufgenommen.
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